Lesestoff

Irene Solà
Singe ich, tanzen die Berge

Dieses Buch ist von wilder Schönheit und hat charismatische Hauptdarsteller: ein Dorf in den Pyrenäen, Regen, Donner und ein Blitz, starke Frauen, der Wald und Tiere, die sich ihren Teil denken. Sie alle erzählen gemeinsam – in einer vielstimmigen Symphonie – die Geschichte eines jungen Mannes. Er redet viel zu viel, sodass sogar die Tiere vor ihm Reißaus nehmen. Aber er hat ein gutes Herz, dieser Hilari, der die Berge tanzen lässt.

Gewitterwolken ziehen über den Pyrenäen auf. Urtümlich sind diese Berge, mythologisch: Pyrene war die Tochter eines Königs von Iberia. Einer seiner Feinde hatte es auf dessen Thron abgesehen und Pyrene floh in die Berge. Doch sie wurde vom Feind mit Feuer eingekreist und verbrannte bei lebendigem Leib. Herakles, der Sohn des Zeus, bedeckte ihn mit riesigen Steinen und bildete eine Gipfelkette. In diesen Bergen ist nun der Bauer Domenèc unterwegs, als ein Gewitter aufzieht. Das Wasser strömt vom Himmel, der Donner dröhnt, ein Blitz fährt nieder und erschlägt ihn. Gerade noch wollte er eines seiner Kälber befreien, das sich in einer Schlinge verfangen hatte. Und jetzt liegt er tot am Boden, mit seinem schönen goldenen Haar, das seine Frau Sió so liebt. Sie bleibt zurück mit dem alten Schwiegervater, ihrer Tochter Mia und ihrem Sohn Hilari, der wie sein Vater, der Bauer, dichtet.


Ich singe dem Mond, wenn er voll ist,
dem eisigen Fluss, dem wachsamen Wald,
ich singe den großmütigen Tagen.


Das Buch bietet eine vielstimmige Symphonie: Denn alle, die mit diesem Dorf in den Pyrenäen, mit Sió, ihren Kindern und ihrem Schicksal verbunden sind, erzählen. In jedem Kapitel klingt eine andere Stimme: Zuerst ist es Sió selbst, dann kommt der Regen, er kennt Orte und weiß Dinge. Dann erzählt Hilari selbst, der alles mit seinen Worten füllt und so viel redet, dass sogar die Tiere vor ihm Reißaus nehmen. Aber er hat ein gutes Herz, das lässt sich nicht leugnen. Die Menschen um ihn, die Geister des Waldes, die Tiere – sie alle erzählen. Und schließlich seine Schwester Mia, die Jahre später allein im Haus ihrer Kindheit lebt, einen jungen Liebhaber hat und trotzdem an Jaume denkt, den besten Freund ihres Bruders. Dann gibt es noch vier Frauen, die es regnen und donnern lassen können und Geschichten wissen, in denen ein Vater seine Töchter in Berge verwandelt.

Dieser Roman verzaubert und verstört mit der poetischen Sprache, der tragischen und schönen Geschichte und der Erkenntnis, dass sich das Leben immer weiterdreht, während die Natur ihre Lieder singt. Ein literarisches Wunder – 2020 ausgezeichnet mit dem Europäischen Literaturpreis. Unbedingt lesen!

Im Trabanten Verlag um € 22,90

Meter pro Sekunde
In diesem Buch klingt eine wilde Symphonie – getragen von einer Geschichte, in der sich die Wirklichkeit mit den Legenden der Pyrenäen verbinden. Ein literarisches Wunder!