Lesestoff

C Pam Zhang
Wie viel von diesen Hügeln ist Gold

Was macht ein Zuhause zum Zuhause? Die Knochen, das Gras oder der Himmel, dessen Ränder von der Hitze weiß gebleicht sind? Ein rauchendes Bergwerk, Tigerpfoten in der Asche oder das Gold in den Hügeln? Ein kühner Roman über ein charismatisches Geschwisterpaar zur Zeit des amerikanischen Goldrausches – und ein Stück weißgewaschene Geschichte.

Mit einer Pistole in den Händen und der Leiche ihres Vaters auf dem Rücken eines gestohlenen Pferdes ziehen die chinesischen Waisenkinder Lucy und Sam durch die Prärie. Sie wollen ihren Ba nach altem Ritus bestatten, doch dafür brauchen sie zwei Silberdollars, die sie ihm auf die Augen legen müssen. Woher diese nehmen? Ba ist schließlich tot und Ma schon lange fort. So ziehen sie wochenlang durch die Prärie – stets die Berge vor Augen, in denen Ba früher nach Gold schürfte und Spürsinn bewies. Das Gold aber brachte kein Glück, nicht mal zwei Silberdollars, die sie jetzt für seine Bestattung brauchen, sind übriggeblieben. Doch langsam beginnt Ba, sich in seiner Truhe am Rücken des gestohlenen Pferdes aufzulösen. Um ihn endlich bestatten zu können, wäre Lucy bereit, die alten Rituale über den Haufen zu werfen. Doch Sam zieht weiter – auf der Suche nach einem Zeichen und einem passenden Ort.


Gold, Pflaume, Salz, Schädel, Wind,
Erde, Fleisch, Wasser, Gras, Blut


Und so wird die Kluft zwischen den beiden immer größer: Während Sam in der Prärie stärker und mutiger wird, sehnt sich Lucy nach einem Zuhause. Der Staub, die Sonne, der Hunger, ihr zu kleines Kleid, die Gefahr und das Alleinsein – all das erschöpft sie und so kommt es, dass sich die Geschwister am großen Fluss trennen: Sam rückt das rote Halstuch zurecht und kehrt alleine in die Prärie zurück, Lucy hingegen wendet sich der Stadt zu und will dort eine Anstellung finden. Jahre vergehen, doch dann stehen sich die Geschwister unerwartet gegenüber. Sam grinst – mit scharfem Blick, Charme, sein großes Geheimnis perfekt verborgen. Lucy sieht aber auch, dass dahinter eine gefährliche Mischung aus Gewalt, Verbitterung und Hoffnung steckt, die auch ihren Ba umgebracht hat. Und sie spürt, dass sie selbst trotz der schönen Kleider, die sie nun trägt, noch immer ein Zuhause sucht – in einem Land, das nicht ihres ist und niemals sein wird...

Ein großartiges Buch mit charismatischen Figuren und vielen Themen der Gegenwart: Herkunft, Identität, Gender, Intimität, Zugehörigkeit und das Überwinden von inneren und äußeren Grenzen – erzählt an einem magischen Ort, in einer wilden und kompromisslosen Sprache. Faszinierend!

Im Fischer Verlag um 22,70 Euro
Gleich bestellen? www.morawa.at oder www.buechersegler.at

Zur Info: Mitte des 19. Jahrhunderts kamen viele Chinesinnen und Chinesen in die Vereinigten Staaten, um Gold zu suchen oder beim Bau der Eisenbahn zu unterstützen. Trotzdem waren sie schlechter gestellt als andere ethnische Minderheiten: Sie mussten besondere Steuern zahlen, konnten die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht erwerben und durften keine europäisch-stämmigen Partner heiraten. In den 1870er Jahren kam es zu Massakern und der Zwangsansiedlung chinesischer Migranten in Chinatowns. In den 1940er Jahren besserte sich ihre Situation allmählich.

Die Zeit, als der kalifornische Goldrausch zu Ende geht: Ein großartiges Buch mit charismatischen Figuren – erzählt an einem magischen Ort und in einer kompromisslosen Sprache.
Die Zeit, als der kalifornische Goldrausch zu Ende geht: Ein großartiges Buch mit charismatischen Figuren – erzählt an einem magischen Ort und in einer kompromisslosen Sprache.