Lesestoff

Ulrich Woelk. Der Sommer meiner Mutter

Sommer 1969: Apollo 11 soll auf dem Mond landen und Tobias möchte es bei Rosa – der Tochter der neuen Nachbarn. Während er mit ihr seine ersten erotischen Abenteuer erlebt, entwickelt sich auch zwischen den Eltern der beiden eine wechselseitige Anziehung.

Der Sommer, in dem Tobias erstmals Jeans trägt, verändert alles: Zuerst jedoch gerät er ins Weltraumfieber. Denn seit er sah, wie Apollo 8 dem Mond so nahekam, dass man die Krater genau erkennen konnte, kann Tobias vom Mond nicht genug kriegen. Was sollte es Größeres geben, als in den Weltraum zu fliegen? Ist das ein Ziel, das auch er erreichen kann? Sein Vater meint, es wäre schon gut, das zu tun, was einem Freude macht. Aber dass man niemals nur das tun kann, was einem gefällt. Dann kommt Apollo 9 und Tobias beobachtet am Fernseher, wie eine Mondfähre aus dem Inneren einer Rakete schwebt und in den Weltraum fliegt. Es klappt perfekt. So perfekt, wie seiner Mutter die neuartigen Jeans passen und aus ihr eine ganz andere Person machen. Das gefällt Tobias nicht. Denn seine Mutter soll die bleiben, die er kennt: einer Versorgungsinstanz, die zu jeder Zeit bereit ist, für sein Wohl alles stehen und liegen zu lassen.


„Wie anders hier!“


Die Eltern von Tobias führen ein braves Leben, das zu wanken beginnt, als im Haus nebenan ein neues Paar einzieht: locker, freidenkend, links, philosophisch, in Glockenjeans gekleidet und ständig ein Gegenargument auf den Lippen. So anders ihr Lebensstil ist, die Eltern von Tobias fühlen sich davon immer öfter angezogen. Wie Tobias von Rosa, der Tochter der neuen Nachbarn – klug und eigenwillig ist sie, hört Popmusik, schreibt einen Roman und lässt ihn nicht nur an ihre Brüste, sie wünscht es sich sogar! Verwirrt lässt sich Tobias in sein erstes erotisches Abenteuer fallen.

Chaotisch geht es auch bei seinen Eltern zu. Sein Vater tätschelt auffällig oft die Mutter von Rosa und seine Mutter diskutiert auffällig gern mit deren Vater: zum Beispiel darüber, was Frauen alles machen könnten, wenn sie sich nicht um ihre Kinder kümmern müssten. So verändert dieser Sommer die Mutter von Tobias: zuerst ihre Kleidung, als nächstes die Haare, dann beginnt sie zu rauchen und zu Demonstrationen zu gehen und irgendwann ist sie nicht mehr in der Küche anzutreffen. Stattdessen verschanzt sie sich im Gästezimmer, wo sie einen englischen Krimi übersetzt. Tobias und sein Vater runzeln immer öfter die Stirn.


„Ja, warum denn nicht.“


Als Apollo 10 startet, sind die beiden Familien bei Onkel Hartmut, der einen großen Farbfernseher hat, eingeladen. Der Himmel über Cape Kennedy ist blassblau und der Sherry bereitgestellt. Es gibt nun alle technischen Voraussetzungen für eine Landung am Mond, doch die Astronauten sollen alle Manöver nur testweise ausführen. Das beschäftigt Tobias: Würde er einer so großen Gelegenheit widerstehen können und was will er bei Rosa erreichen?

Seine Mutter hingegen hat bereits erreicht, was sie wollte: Der Verlag ist mit ihrer Probe-Übersetzung zufrieden und beauftragt sie damit, den ganzen Krimi zu übersetzen. Trotz des ersten Erfolgs ist sie von Angst erfüllt: Was würde geschehen, wenn es alle Menschen wagen, ihren Neigungen zu folgen? Würde da nicht alles zusammenbrechen? Schließlich startet Apollo 11, um auf dem Mond zu landen. Doch dann verschiebt sich der Zeitplan der Landung und obwohl Tobias im Bett sein sollte, geht er in der Nacht ins elterliche Wohnzimmer, um den Fernseher einzuschalten. Was er dort sieht, wird sein Leben für immer verändern…

Zwischen Reihenhäusern, Grillfesten, Kirmes und Krocketspielen bahnt sich ein persönlicher Aufbruch an, den Ulrich Woelk mit unaufgeregten und kristallklaren Sätzen erzählt. Atmosphärisch dicht, schonungslos rational und gerade deshalb umso herzzerreißender!

Im C.H. Verlag um 20,60 Euro
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Ulrich Woelk. Der Sommer meiner Mutter
Die Geschichte eines persönlichen Aufbruchs im Sommer 1969 – unaufgeregt und in klaren Sätzen erzählt.