Wortwunder

Wenn Buchstaben verlorengehen

Eigentlich wollte ich Klavierspielen lernen, aber ein Klavier konnten wir uns nicht leisten. So wurde es die Querflöte, die mir nicht gefiel. Viel zu unscheinbar waren ihre Tasten. Vielleicht liegt es an dieser ungestillten Sehnsucht, dass ich beim Schreiben am liebsten geräuschvoll in die Tasten greife. Ich will den Buchstaben dabei zuhören, wie sie aus mir fließen und sich zu Wörtern verbinden.

Der erste Buchstabe, den ich verlor, war das N. Irgendwann löste es sich vom Laptop und ich tippte es eine Zeitlang ohne Taste. Mein zweiter Laptop war sehr robust und nahm meine Schreibkraft ohne Einbußen hin. Der dritte Laptop hingegen war ein Schwächling und gab nach wenigen Monaten beim C und W auf. Man glaubt es kaum, wie viele Wörter es mit W gibt. Weil ich darauf hoffte, dass die fehlenden Buchstaben ihren Weg zu mir zurückfinden würden, holte ich das W einige Wochen lang aus anderen Texten. Das war Schreiben im Zeichen von Zen – sehr, sehr langsam. Irgendwann verlor ich dann doch die Geduld und schickte den Laptop in Reparatur. Doch das C und W wurden nicht mehr richtig gesund und blieben weiterhin unbeständig.

Um die Buchstaben des vierten Laptops zu schonen, kaufte ich eine externe Tastatur. Buchstaben sind seitdem keine mehr verlorengegangen, aber nun kommen welche ungefragt dazu. Immer wieder finde ich ein E in meinen Texten, wo kein E hingehört. So erlebe ich jeden Tag mein ganz persönliches Wortwunder.

Wenn Buchstaben verlorengehen
Den Buchstaben dabei zuhören, wie sie sich zu Wörtern verbinden